Queichwiesen und Rheinauen - Im Netzwerk der Verbindungen
„Der ist der glücklichste Mensch, der das Ende seines Lebens mit dem Anfang in Verbindung setzen kann.“ Das Zitat, das dem großen deutschen Dichter Johann Wolfgang von Goethe (1749 - 1832) zugeschrieben wird, spitzt in einem einzigen Satz zu, was den besonderen Wert von Verbindungen ausmacht. In der Pfalz lässt sich dies bei Ausflügen zwischen Landau und Germersheim in außergewöhnlicher Art und Weise erleben. Hier erschließt sich – ganz besonders Wanderern und Radfahrern, die mit offenen Augen unterwegs sind – ein wahres Netzwerk an Verbindungen. Es geht um Mensch und Natur, um Tradition und Moderne sowie um Vergangenheit und Zukunft.
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Wald, Wein und Wasser
Ein wolkenlosen Sommertag beginnt. Zu früher Stunde taucht die Sonne das Rebenmeer bei Hochstadt in ein goldenes Licht. Vom „Houschder Winzerturm“ reicht der Blick vom Pfälzerwald bis tief in die Rheinebene. Ein idealer Platz, um sich einen Überblick zu verschaffen. Inmitten einer Region mit Wein-, Obst- und Ackerbau sorgen Hofläden und Cafés von Direktvermarktern für einen reichlich gedeckten Tisch. Und in südlicher Richtung erstreckt sich zwischen Wald, Wein und Wasser von West nach Ost ein besonderes grünes Band längs der Queich. Der Nebenfluss des Rheins verbindet von der Quelle bei Hauenstein den Pfälzerwald mit dem Oberrhein bei Germersheim. Und er sorgt für eine einzigartige Kulturlandschaft von Landau über Offenbach, Hochstadt, Ottersheim, Knittelsheim, Bellheim, Zeiskam bis nach Germersheim.
Ausgeklügeltes System
Mit rund 450 Hektar Fläche sind die Queichwiesen heute das größte zusammenhängende und noch aktiv betriebene Wiesenbewässerungssystem in Deutschland. Von der UNESCO, der Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation, ist es 2023 zu einem „immateriellen Kulturerbe der Menschheit“ erklärt worden. Die Wiesen längs der Queich werden allein mit Hilfe der Schwerkraft unter Nutzung des natürlichen Gefälles mit Wasser versorgt. In der Regel geschieht dies im Frühjahr und im Sommer nach einem ausgeklügelten System. Wehre und Schließen, mit denen das Wasser in der Queich und in den Bewässerungsgräben gestaut und geleitet wird, stammen zum Teil noch aus dem 17. Jahrhundert. Ein bis drei Tage dauert die Bewässerung einzelner Flächen.
Doppelte Verbindung
Von der mosaikartigen Struktur, die durch das Bewässerungssystem entsteht, profitieren sowohl der Naturschutz als auch die Landwirtschaft. Die Queichwiesen werden so zu einem Bereich, der in doppelter Hinsicht verbindet. Zum einen geographisch zwischen der Weinstraße und den Rheinauen, zum anderen zwischen Menschen, die kooperieren. Denn eine Interessengemeinschaft, in der sich Landwirte, Naturschützer und Kommunen gemeinsam engagieren, kümmert sich seit über zwei Jahrzehnten um den Erhalt und die regelmäßige Nutzung des Bewässerungssystems. Die traditionelle Bewässerung selbst ist bis in die Jungsteinzeit zurückzuverfolgen. In Deutschland war sie als Wiesenbewässerung bis Mitte des 20. Jahrhunderts weit verbreitet.
„Gedeckter Tisch“ für Störche
Trotz weitgehendem Verzicht auf Düngung erzielen die Bauern in den Queichwiesen einen guten Heuertrag. Dies ist das eigentliche Ziel der landwirtschaftlichen Maßnahme. Parallel wird jedoch eine charakteristische Flora und Fauna erhalten, die im Sommer die Basis für ein Naturspektakel ist. Vor ihrem Wegzug nach Süden versammeln sich hier hunderte Störche. Doch auch sonst gehört der Storch längs der Queich einfach mit dazu. Erste Tiere kommen schon im Februar. Nach zwei bis drei Wochen beginnen sie zu brüten. Die Jungtiere, die so genannten Nestlinge, sind nach acht bis neun Wochen flugreif. Ein Storchpaar mit vier Jungen im Nest benötigt zeitweise mehr als sechs Kilo Futter am Tag. Dies erklärt, warum die Störche den mit Käfern, Heuschrecken, Würmern oder Mäusen reichlich „gedeckten Tisch“ der Queichwiesen schätzen. So ist es keine Seltenheit, dass bis zu 50 Störche hinter einem Traktor herziehen, der Wiesen mäht.
Zentrum bündelt Wissenswertes
Großen Anteil daran, dass der ausgestorbene Weißstorch wieder heimisch wurde, hat die Aktion PfalzStorch, die 1998 als gemeinnütziger Verein gegründet wurde. Heute dokumentiert er unter anderem die Entwicklung des Bestandes an Störchen und betreibt Öffentlichkeitsarbeit rund um die Schreitvögel. Dazu gehört auch das rheinland-pfälzische Storchenzentrum in Bornheim, wo viel Wissenswertes rund um die Vögel anschaulich vermittelt wird. Ein besonderer Anziehungspunkt ist auch ein interaktives Modell der Queichwiesen-Landschaft. Hier kann man spielerisch das Wasser der Queich stauen, umleiten und Wiesenflächen fluten. Dabei lernt man nicht nur, wie die Bewässerungstechnik funktioniert, sondern gleichzeitig, wie sich alles miteinander verbindet.
Wo sich Wald und Wasser verbinden
Eng mit dem Auf und Ab des Wassers verbunden sind auch die Rheinauen, die zu den artenreichsten Regionen Deutschlands zählen. Nicht weit entfernt von dort, wo die Queich in den Rhein mündet, lässt sich stromaufwärts die Hördter Rheinaue auf Wanderwegen erkunden. Die zum Teil urwaldähnliche Landschaft wird vor allem durch Altrheine geprägt, die mehr oder weniger verlandet sind. Hier wechseln sich Fließ- und Stillgewässer miteinander ab, die die Rheinauen zu einem bedeutenden Brut-, Rast- und Überwinterungsgebiet von seltenen und bedrohten Tierarten machen. Mit etwas Glück kann man Eisvögel und Schwarzmilane beobachten. Nicht zuletzt ist natürlich auch der Rhein selbst eine Verbindung. Ein Spaziergang oder eine Radtour auf dem Hauptdamm führt dies eindrucksvoll vor Augen.
Autor: Michael Dostal